Die zwei Seiten der Medaille
Totholz spielt bedeutende Rolle für die Artenvielfalt - Entstehender CO2-Ausstoß hat keine negativen Auswirkungen auf Klimaschutz
Eintrag Nr. 54/2022
Datum: 29.11.2022
Grafenau. „Totholz ist gut für die Artenvielfalt“, sagen die einen. „Totholz gibt Kohlenstoffdioxid frei und ist schlecht fürs Klima“, sagen die anderen. Doch was stimmt nun? Forscher aus dem Nationalpark Bayerischer Wald haben sich mit diesen Themen beschäftigt.
Wie können sowohl der Klimawandel als auch das Aussterben vieler Arten verlangsamt werden? Das sind drängende Fragen unserer Zeit. Um Antworten zu erhalten, braucht man Daten, wie der Kohlenstoffkreislauf aussieht, wo auf dieser Erde wie viel Kohlendioxid gespeichert und freigesetzt wird. Für Wälder, Ozeane oder Böden gibt es schon zahlreiche internationale Modelle. Eine Wissenslücke klaffte im Bereich Totholz und Insekten auf. Dank dem Besenstiel-Projekt sind die Klimaforscher nun schlauer.
55 FORSCHUNGSFLÄCHEN AUF ALLEN KONTINENTEN
Um auch in diesem Bereich international aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, wurden vom Nationalpark insgesamt
55 Forschungsflächen auf allen Kontinenten festgelegt. Jeder Wald-Typ in den unterschiedlichsten Klimazonen war dabei
vertreten. An jedem Standort wurden drei heimische Hölzer ausgelegt sowie ein Besenstiel aus Buchenholz aus dem Bayerischen Wald – um Vergleiche ziehen zu können. Am Ende waren auf allen Forschungsflächen weltweit 142 verschiedene Baumarten zu finden – von der Fichte über Schraubenpalmen bis hin zu Kautschukbäumen. Die Hälfte der Hölzer war für Insekten zugänglich, die andere nicht, um die Rolle der Insekten beim Abbau von Totholz zu ermitteln. Über drei Jahre hinweg wurde an den Standorten beobachtet, wie unterschiedlich schnell die Hölzer verrotten.
WIE VIEL KOHLENSTOFF GIBT TOTHOLZ FREI?
Im Rahmen der Studie konnte festgestellt werden, dass Totholz bei der Zersetzung jährlich eine beachtliche Menge Kohlenstoffdioxid (CO2) freigibt – ungefähr 25 Prozent dessen was aus Böden freigesetzt wird. Totholz spielt also eine klimarelevante Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Allerdings ist dabei zu beachten, dass 93 Prozent dieser jährlichen natürlichen Freisetzung von Kohlenstoff aus Tropenwäldern stammt. Ein Drittel dieser Kohlenstoff-Freisetzung geht wiederum auf Insekten zurück. Denn gerade in wärmeren Gebieten zersetzen Insekten Totholz schneller. In kälteren Regionen kann der Trend auch in eine andere Richtung gehen. Hier haben zum Beispiel manche Borkenkäfer Pilze im Gepäck, die schlechte Holz-Zersetzer sind. Dann verlangsamt sich der Abbauprozess. Klar ist, dass sowohl die Erderwärmung als auch der Biodiversitätsverlust bei Insekten das Potential haben, den Holzabbau und damit
die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe weltweit zu verändern und den Klimawandel mit zu beeinflussen.
EIN WIDERSPRUCH ZWISCHEN ARTEN UND KLIMASCHUTZ?
Totholz gibt also eine beachtenswerte Menge CO2 frei. Steht dieser negative Effekt auf das Klima im Widerspruch mit dem Artenschutz? Schließlich ist Totholz – wie zahlreiche internationale Studien belegen – für den Erhalt der Artenvielfalt von überragender Bedeutung. Zur Beantwortung dieser Frage wurde im Nationalpark Bayerischer Wald an einem belassenen Windwurf am Lackaberg nahe des Großen Falkensteins nach dem Sturm Kyrill untersucht, welche Konsequenzen ein abgestorbener Waldbestand für das Klima hat. Dabei stellten sich zunächst zwei Fragen: Welche
Mengen CO2 werden nach der Störung aus dem Waldökosystem in die Atmosphäre freigesetzt? Und wie viele Jahre
vergehen, bis das Vegetationskleid, also Gräser, Kräuter und Baumverjüngung, wieder mehr Biomassekohlenstoff im Waldökosystem speichert als es als CO2 in die Atmosphäre freisetzt? Seit 2009 werden kontinuierliche, zeitlich hoch aufgelöste Messungen von CO2 und meteorologischen Größen wie Temperatur, Strahlung, Wind unter anderem durch das Institut für Meteorologie und Klimaforschung (KIT/IMK-IFU) am Lackaberg durchgeführt. Mit geeigneten biophysikalischen Modellen ist es nicht nur möglich, die Aufnahme von CO2 in die Biomasse zu bestimmen, getrennt nach Baumverjüngung und niedriger Vegetation. Ebenso kann die Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre, getrennt nach Vegetation und Boden einschließlich dem Totholz, berechnet werden.
LIEGEND ODER STEHEND: CO2 FREISETZUNG IM FICHTENWALD BLEIBT GLEICH
Die Forschungen ergaben, dass die jährliche Freisetzung von CO2 aus Totholz und Bodenhumus mit geringer Schwankung bei sieben Tonnen Kohlenstoff pro Hektar liegt. Dies entspricht der Menge, die ein lebender Fichtenwald freisetzt. Naturwälder mit viel Totholz sind also keine CO2-Schleudern. Vorläufige Berechnungen zeigen, dass am Lackaberg die jährliche Bindung von CO2 durch Photosynthese im nachwachsenden Bestand seit 2017 mit durchschnittlich 7,7¡Tonnen Kohlenstoff je Hektar etwas größer ist als die Freisetzung, wobei die Baumverjüngung
zunehmend bedeutsamer gegenüber Gräsern und Farnen geworden ist. Bereits zehn Jahre nach Kyrill ist dieses
sturmgeworfene Waldökosystem wieder ein CO2-Speicher. Diese Ergebnisse zeigen, dass in Waldgebieten gemäßigter
Breiten wie dem Bayerischen Wald auch große Totholzmengen nach Störungsereignissen nicht zu einer übermäßigen und dauerhaften CO2-Quelle werden und somit hier kein Widerspruch zwischen Arten- und Klimaschutz besteht. Forderungen,
Totholz aus Klimaschutzgründen aus dem Wald zu entfernen, sind also unbegründet.
KURZ UND BÜNDIG:
- Abgestorbene Bäume sind von überragender Bedeutung für die Artenvielfalt.
- Der Abbau von Totholz setzt hohe Mengen Kohlenstoff frei – vor allem in den Tropen.
- Insekten spielen bei der Totholzzersetzung eine wichtige Rolle.
- Der Verlust der Artenvielfalt kann folglich Kohlenstoffkreisläufe beeinflussen.
- In Wäldern gemäßigter Breiten führen großflächige Störungen nicht zu einem vermehrten CO2-Ausstoß.
- Der positive Effekt von Totholz auf die Biodiversität wirkt sich nicht nachteilig auf den Klimaschutz aus.
KOOPERATION:
Für das Forschungsprojekt konnte der Nationalpark Bayerischer Wald viele Mitspieler ins Boot holen. Der Nationalpark Berchtesgaden, die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und die Technische Universität München waren zentrale Partner, dazu kamen über 30 kooperierende Forschergruppen aus aller Welt.
Der Text ist in der Broschüre "Forschung im Nationalpark" erschienen und kann auf der Homepage des Nationalparks Bayerischer Wald heruntergeladen werden.