Strahlende Gesellen
Pilze im Nationalpark sind auch 35 Jahre nach dem Tschernobyl-Unfall noch radioaktiv belastet
Eintrag Nr. 50/2022
Datum: 01.11.2022
Grafenau. Die Wissenschaft lebt davon, klare Aussagen zu treffen. In Sachen radioaktiver Belastung von Pilzen ist dies nicht so einfach. Was im Bayerwald oben gut bekömmlich ist, kann ein paar Kilometer weiter unten auf Dauer esundheitsgefährdend sein.
Pilze sammeln ist gerade im Bayerischen Wald für viele Menschen ein Hobby. Doch können diese Früchte des Waldes angesichts der noch immer vorherrschenden Cäsium-Belastung des Bodens auch bedenkenlos gegessen werden? Mit Hilfe von Forschungsergebnissen des Nationalparks und der Goethe-Universität Frankfurt kann nun eine Antwort gegeben
werden: Das Gesundheitsrisiko durch den Tschernobyl-Unfall im April 1986 ist auch heute noch relevant.
MESSUNGEN IN ABHÄNGIGKEIT ZUR TOPOGRAPHIE
Bisherige Messungen zur Belastung von Pilzen waren nicht räumlich standardisiert. Auch Geographie, Boden, Höhe und Exposition wurden nicht berücksichtigt. Beim Projekt des Nationalparks wurde nun nicht nur die Belastung der Pilze betrachtet, sondern auch die des Bodens in Abhängigkeit von der Topographie. Durch die Verknüpfung beider Komponenten erhält man letztendlich aussagekräftige Daten. Dafür etablierte man im Schutzgebiet 36 Probeflächen mit einer Größe von 100 auf 100 Metern. Darin wurden Proben von Steinpilzen und Maronen sowie vom Boden genommen. Um repräsentative Aussagen zu erhalten, waren unterschiedliche Höhenstufen sowie West- und Osthänge im gesamten
Nationalparkgebiet vertreten.
MARONE IST HÖHER BELASTET ALS DER STEINPILZ
Die Ergebnisse haben selbst die Forscher überrascht. Die Radioaktivität hat sich in den vergangenen 35 Jahren im Boden nicht nach unten abgesetzt. Die Belastung ist noch ähnlich hoch wie nach dem Reaktorunfall. Dementsprechend hoch ist auch die Belastung der Pilze. Generell ist die Marone höher belastet als der Steinpilz, da sie aufgrund ihres Stoffwechsels mehr Radioaktivität aufnehmen kann. Die höchste Belastung, die im Rahmen der Untersuchungen bei einer Marone gemessen worden ist, lag bei 3100 Becquerel pro Kilogramm, beim Steinpilz waren es 601 Becquerel pro Kilogramm. Zum Vergleich: Wer Pilze gewerblich verkaufen will, muss Ware mit Werten jenseits der 600er-Marke entsorgen.
UNTERSCHIEDLICHE BELASTUNG IN DEN EINZELNEN GEBIETEN
Erstaunlich ist auch die unterschiedliche Belastung in den verschiedenen Gebieten und Höhenlagen. Zwischen Lusen und Rachel ist der Boden weniger kontaminiert als im Gebiet rund um den Großen Falkenstein. Im Lusen–Rachel–Gebiet weisen vor allem Pilze in den Höhenlagen eine hohe radioaktive Belastung auf. Im Falkenstein–Rachel–Gebiet hingegen
zeigt sich das gegenteilige Bild. Kontaminiert sind hier vor allem Pilze in den tieferen Lagen. Das zeigt, dass die Belastung der Pilze nicht unbedingt der Belastung des Bodens folgt. Generell lag die Belastung von einem Drittel aller Pilzproben über dem Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm. Das Risiko ist also nach wie vor da. Mit den Forschungsergebnissen kann nun jeder Sammler für sich bestimmen, welche Pilze aus welchen Gebieten
er wie oft konsumiert.
KURZ UND BÜNDIG:
- Die radioaktive Belastung des Bodens im Nationalpark ist noch ähnlich hoch wie nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl.
- Die Marone weist eine deutlich höhere Radioaktivität auf als der Steinpilz.
- Ein Drittel aller Proben lag über dem gesetzlichen Grenzwert.
Der Text ist in der Broschüre "Forschung im Nationalpark" erschienen und kann auf der Homepage des Nationalparks Bayerischer Wald heruntergeladen werden.