Im Schatten der Schneemandl
Wildnis im Winterschlaf - Den Urwald am Hohen Fels auf Schneeschuhen erleben
Eintrag Nr. 07/2020
Datum: 16.01.2020
Bayerisch Eisenstein. Nach bald 50 Jahren seit seiner Gründung ist der Nationalpark Bayerischer Wald bei vielen besonders für seine beeindruckende Wildnis und den Artenreichtum in den Sommermonaten bekannt. Zeit, die unberührten Waldgebiete des wilden Mittelgebirges auch einmal von ihrer winterlichen Seite zu betrachten: Eine Exkursion im Schnee, hinein in die atemberaubende, märchenhafte Eislandschaft rund um den Hochberg bei Bayerisch Eisenstein im Winter.
Still und angestrengt stapft die Gruppe mit ihren Schneeschuhen den engen Pfad zwischen massiven Fichten durch die hohe Schneeschicht. Die ausgetretene Route hinter ihnen schlängelt sich wie ein dünnes Band durch den Bergwald und wird einzig und allein von einigen wenigen Wildspuren gekreuzt. Einsamkeit, Stille und eine raue, kaum gebändigte Natur wie aus dem Bilderbuch erwarten den Besucher zwischen massiven, schneebedeckten Granitfelsen, Totholz und imposanten Baumriesen, deren vereiste Kronen sich stumm über der Wildnis im Winterschlaf erheben.
Vom Hochfels aus ein beeindruckendes Winterpanorama genießen
Die Wandergruppe befindet sich auf einer Rundtour in der Nationalparkwildnis bei Bayerisch Eisenstein, inmitten eines der wertvollsten Urwaldgebiete des Nationalparks Bayerischer Wald. Während in den Sommermonaten die gewaltige Dynamik der Natur in Form von Totholz, jungen Bäumen und der unberührten Artenvielfalt des Gebietes erlebbar ist, taucht diese Insel der Wildnis zur Winterzeit in eine Phase der Ruhe und Stille ein. Dann erstrahlen die urwüchsigen Wälder von den Gleisen des Eisensteiner Grenzbahnhofs bis zur Spitze des Hochbergs auf 943 Meter im Glanz von Schnee und Eis, das von der rauen Witterung in die wundersamsten Formen verwandelt wird.
Über mächtige Totholzstämme geht es im verschneiten Urwald immer weiter den Berg hinauf. Die für den Bayerischen Wald typischen Bergmischwälder begleiten einen in ihrem Winterkleid über die gesamte Route. Als einer der Höhepunkte präsentiert sich den Wanderern am beliebten Aussichtspunkt Hochfels ein beeindruckendes Panorama über die Weiten des Nationalparks und die umliegenden Bergrücken. So erheben sich auf den strahlend weißen, exponierten Gipfeln wie stumme Wächter des erstarrten Waldes im Winter die „Schneemandl“: Einzelne, kleine Fichten, die in eine dicke Schicht aus Eis und Schnee gehüllt sind. Vom beißend-frostigen Ostwind geformt und im tiefstehenden Licht des Bayerwald-Winters über den eingeschneiten Tälern so mystisch glitzernd und funkelnd, als würde man sich direkt in einer surrealen Märchenwelt befinden.
Der Bayerische Wald und seine zahlreichen Sagen und Mythen, sie gehören untrennbar zusammen und sind Ausdruck des harten und entbehrungsreichen Lebens, das die Siedler und Bewohner des dicht bewaldeten Mittelgebirges vor mehr als hundert Jahren zu bestreiten hatten. Wer heute mit den Schneeschuhen die alten Wege und Steige rund um die Bayerwaldgipfel betritt, der fühlt sich, als würde er hineingeworfen werden in diese beeindruckend stille Welt der uralten Erzählungen. Der Mensch wird plötzlich winzig klein vor der gewaltigen Dynamik der Natur, die sich im Winter in unendlicher Stille und Schönheit präsentiert, als wäre die Zeit mit Einsetzen des Schneefalls augenblicklich angehalten worden.
Klare Tage locken mit Fernsicht bis in die Alpen
Wanderwege werden zu weißen, schmalen Rinnen, an deren Rändern sich meterhohe Schneemassen auftürmen. Im stetigen Wind gehen die weißen, eingeschneiten Baumwipfel einen stillen Tanz mit dem Pulverschnee ein. Unter dem strahlend blauen, wolkenlosen Himmel beginnen Milliarden Schneekristalle zu glitzern und tauchen die weitläufige Berglandschaft in gleißend helles, regenbogenfarbiges Licht. An besonders klaren Tagen ergibt sich dabei von den höheren Nationalparkgipfeln ein Panorama, welches bis zu den Bayerischen Alpen und auf der anderen Seite weit in das tschechische Kernland hinein reicht, während in den Niederungen dazwischen ein dickes, weißes Nebelfeld liegt. So mancher Besucher fühlt sich dabei, als hätte er den höchsten Punkt einer gefrorenen Insel erklommen, die von einem gigantischen, weißen Meer umgeben ist.
Der Nationalpark Bayerischer Wald ist ein Gebiet, in dem sich die Natur frei entfalten und ohne menschliche Eingriffe zurück zu ihren ursprünglichen Wurzeln entwickeln kann. 2020 feiert der Park seinen 50. Geburtstag und neben zahlreichen Glückwünschen und Präsenten kommt das größte Geschenk aus dem Herzen der Wildnis selbst: Es ist das Zeugnis von der Entstehung einer naturnahen Wildnislandschaft im stetigen Wandel, die zu jeder Jahreszeit mit ihrer faszinierenden und majestätischen Schönheit tausende Besucher in ihren Bann zieht. Die Schneeschuhtour um den Hochberg in klirrend kalter, klarer Luft über Pulverschneefelder und durch verschneite Bergwälder im Sonnenschein ist dabei eine nachhaltig prägende Wanderung für alle Sinne und noch weitaus mehr für die Seele. Unter dem Nationalparkmotto „Natur Natur sein lassen“ findet der Besucher nach der fordernden, aber abwechslungsreichen Tour durch die Wildnis in der entschleunigenden Stille des Winterwaldes auch ein Stück weit zu sich selbst.
Tipp: Wer die Tour unter kundiger Leitung unternehmen will, ist dazu jeden Montag eingeladen. Bis 16. März findet die Führung „Mit Schneeschuhen auf den Hohen Fels“ im Rahmen des Winterprogramms des Nationalparks statt. Los geht die dreistündige Tour jeweils um 11.30 Uhr am Wanderpark in Bayerisch Eisenstein. Die Teilnahmegebühr beträgt 5 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren sind frei. Bei Anreise mit der Waldbahn sowie bei Vorzeigen einer Nationalpark-Card oder einer Gästekarte mit GUTI-Logo wird nur die halbe Führungsgebühr erhoben. Die zusätzliche Leihgebühr für Schneeschuhe beträgt 6 Euro pro Person. Bei Schneemangel findet die Führung auch ohne Schneeschuhe statt. Eine Anmeldung ist spätestens bis zum Vortag, 12 Uhr, beim Nationalparkführungsservice nötig: 0800 0776650.
Text: Fabian Wirth