Paradies für Pilze
Im Nationalpark sind 38 holzbewohnende Pilzarten als "Naturnähezeiger" nachgewiesen - und regelmäßig werden weitere entdeckt
Eintrag Nr. 23/2019
Datum: 08.08.2019
Grafenau. Viele von ihnen leben im Verborgenen, treten nie oder nur selten ans Tageslicht. Gleichzeitig ist ihre Artenfülle überwältigend: Drei bis zehn Millionen soll es geben – worunter gerade einmal 366.000 einen Namen tragen. Pilze! Bis ins späte 20. Jahrhundert hinein wurden sie zu den Pflanzen gerechnet, obwohl sie auch Eigenschaften von Tieren aufweisen. Pilze steuern wichtige Prozesse in Waldökosystemen – und werden vom Naturschutz bisweilen stiefmütterlich behandelt. Außer im Nationalpark Bayerischer Wald. Dort wird seit mehr als zehn Jahren über Pilze geforscht – und um ihre Diversität gekämpft.
„Wir gehören zu den wichtigsten Pilzschutzgebieten Europas“, erzählt Nationalpark-Leiter Dr. Franz Leibl: „Pilzarten, die in Deutschland sehr selten geworden sind, haben bei uns ihren Schwerpunkt.“ Die Zitronengelbe Tramete zum Beispiel, der Tannen-Kugelschwamm, der Dunkelgezonte Feuerschwamm oder der Heidelbeerkammpilz. Mit weiteren 64 Arten holzbewohnender Pilze sind sie als so genannte „Naturnähezeiger“ definiert: Sie dienen als Indikatoren für die Strukturqualität in Wäldern und weisen damit die Naturnähe von Waldbeständen aus.
„Wir retten Pilzarten vor dem Aussterben“
38 der 68 Naturnähezeiger kommen im Nationalpark Bayerischer Wald vor und profitieren von dessen Philosophie, die Natur Natur sein zu lassen. „Weil wir unsere Wälder nicht forstwirtschaftlich nutzen, retten wir Pilzarten vor dem Aussterben“, weiß Franz Leibl. Gerade Organismen, die an alte Bäume und große Mengen an Totholz gebunden sind, überlebten in geschützten Habitaten: „Ihre Vielfalt macht unseren Nationalpark zu einem geeigneten Lernort und Freilandlabor.“
Dort forscht Dr. Claus Bässler. Als Experte für die Vielfalt holzbewohnender Pilzarten hat sich der Forst- und Umweltwissenschaftler längst international einen Namen gemacht – und jüngst etwa herausgefunden, dass ausreichend Totholz im Wald die Folgen des Klimawandels für Pilzartengemeinschaften abfedern kann. „Günstige Habitat-Bedingungen bilden die Grundvoraussetzung dafür, dass Pilzpopulationen den Klimawandel überleben“, weiß Claus Bässler – und noch mehr: Durch den hohen Totholz-Anteil im Nationalpark könnten etliche Arten sogar einen leichten Temperaturanstieg kompensieren.
Neueste Funde: Nadelholz-Körnchenschirmling und Kandelaber-Byssuskoralle
In Deutschlands ältestem Großschutzgebiet werden regelmäßig neue Pilze entdeckt, für die bislang noch keine Bewertungen als Naturnähezeiger oder Rote-Liste-Art vorliegen. „Der gegenwärtige Wissensstand reicht oft nicht aus, um beurteilen zu können, ob eine Art übersehen wurde, generell selten ist oder sich auf Habitate beschränkt, die durch menschlichen Eingriff verschwunden sind“, erklärt Pilzsachverständiger Peter Karasch, der unter anderem das Interreg-Projekt „Funga des Böhmerwalds“ im Nationalpark Bayerischer Wald koordiniert. Gemeinsam mit dem Forscherteam um Dr. Claus Bässler hat Karasch schon etliche Pilzarten im Nationalpark aufgespürt – zuletzt etwa den Nadelholz-Körnchenschirmling oder die Kandelaber-Byssuskoralle, die damit erstmals in Deutschland bzw. in Bayern nachgewiesen wurden.
Die bisherigen Erkenntnisse aus dem Nationalpark zeigen, dass sich die Strategie, Wälder aus der forstwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen, positiv auf die Pilzdiversität auswirkt. Überdies: „Wir konzipieren gegenwärtig Projekte mit dem Ziel, Pilzarten wieder anzusiedeln, die nutzungsbedingt bereits vor der Nationalparkgründung ausgestorben sind“, erzählt Claus Bässler. Hinweise auf den einstigen Artenpool lieferten historische Nachweise und Reliktfunde aus alten Wäldern im Bayerischen und Böhmerwald.
„Habitatbäume“ in der ganzen Landschaft als Schlüssel zu einer höheren Artenvielfalt
Da das Überleben seltener Pilzarten nur gewährleistet sei, wenn auf Landschaftsebene ausreichende Mengen an alten Bäumen und Totholzstrukturen vorhanden sind, appelliert Nationalpark-Leiter Franz Leibl an die Eigentümer bzw. Verantwortlichen von Wirtschaftswäldern, alte sogenannte „Habitatbäume“ zu erhalten. „Sehr seltene Pilzarten sind an Bäume gebunden, die mindestens 200 Jahre alt sind“, erklärt er. Grundsätzlich benötigten holzbewohnende Pilze Totholz als Ressource, um überlebensfähige Populationen zu bilden. Demzufolge sei auch die Baumart von großer Bedeutung. Franz Leibl: „Idealerweise sind in einem Wald alle Baumarten als Totholz vorhanden, die auf natürliche Weise in der Landschaft vorkommen.“ Dies würde viele bedrohte Pilzarten vor dem Aussterben retten.
Dieser Artikel stammt aus der neuesten Ausgabe des Nationalpark-Magazins "Unser Wilder Wald". Das komplette Heft können Sie HIER als PDF-Dokument herunterladen.
Text: Alexandra von Poschinger