Der Lehrmeister
Die Leiter der Nationalparks Hainich, Schwarzwald und Harz zur Pionierleistung des Nationalparks Bayerischer Wald
Eintrag Nr. 06/2021
Datum: 01.03.2021
Bad Langensalza/Seebach/Wernigerode. Ob im Waldprozessschutz, in der Umweltbildung oder im Besuchermanagement: Die Pionierleistungen des Nationalparks Bayerischer Wald sind für andere deutsche Schutzgebiete Vorbild. Wir haben bei drei Nationalparkleitern nachgefragt.
MANFRED GROSSMANN, NATIONALPARK HAINICH
1997 gegründet, unterscheidet sich der thüringische Nationalpark Hainich komplett von seinem älteren Bruder im Bayerischen Wald. Das sei auch gut so, befindet Manfred Großmann, „schließlich sollen unsere 16 deutschen Nationalparks die naturräumliche Vielfalt des ganzen Landes abbilden“. Im Hainich prägen ausgedehnte Buchenwälder das Landschaftsbild, weswegen die UNESCO den Park vor zehn Jahren zum Weltnaturerbe erhob.
Manfred Großmann kommt schon sehr lange und regelmäßig in den Bayerischen Wald. Zum Wandern, natürlich, aber vor allem zum Austausch mit seinem Amtskollegen, Nationalparkleiter Franz Leibl. „Der älteste Park Deutschlands ist uns in vielerlei Themen und Projekten ein Vorbild“, lobt Großmann und nennt neben den Junior Rangern, den Nationalpark-Partnern und dem Commerzbank-Umweltpraktikum die hohe Qualität der Besuchereinrichtungen und des Beschilderungssystems im Gelände. „Darauf sind wir im Hainich echt neidisch.“
Mit Bewunderung blickt Großmann auf den langen Atem des Nationalparks Bayerischer Wald. Die große Vision „Natur Natur sein lassen“ über so viele Jahre zu verteidigen und damit auch anderen deutschen Schutzgebieten den Weg zu ebnen, sei eine Leistung, die im Sinne des Naturschutzes nicht ausreichend genug gewürdigt werden könne. So will er auch heuer wieder mit Mitarbeitern in den Bayerischen Wald reisen. Zum Staunen über die Entwicklung der wilden Waldnatur. Zum Lernen. Diskutieren. Und natürlich zum Wandern – besonders gern auf den Lusen sowie mitten hinein in den Urwaldbereich.
DR. WOLFGANG SCHLUND, NATIONALPARK SCHWARZWALD
„Wir haben sehr viel von den Kollegen im Bayerischen Wald gelernt – und tun es immer noch“, schwärmt Wolfgang Schlund. Für die Entwicklung und Ausgestaltung des 2014 gegründeten Nationalparks Schwarzwald hätte das Schutzgebiet im Bayerischen Wald in vielerlei Hinsicht als Blaupause gedient. So sei die Klarheit, mit der der Prozessschutz in den Wäldern umgesetzt wurde, ebenso bemerkenswert wie die pädagogischen Methoden, kleine wie große Besucher für die Natur und Umwelt zu begeistern.
Schlund kommt seit seiner Studienzeit in den Bayerischen Wald – und Jahre später umso öfter, um sich Anregungen für das Naturschutzzentrum auf dem 900 Meter hohen Ruhestein zu holen, das er und seine Frau in den 1990er Jahren konzipierten. Nur einen Katzensprung entfernt entsteht derzeit das neue Nationalparkparkzentrum Schwarzwald mit interaktiver Ausstellung zum wilder werdenden Wald, Kino, Skywalk, Shop und Café. „Im März können wir hoffentlich schrittweise unter Corona-Auflagen eröffnen.“
Dass der Nationalpark Schwarzwald so viel Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt, sei ebenfalls dem Vorbild im Bayerischen Wald zu verdanken, weiß Wolfgang Schlund: „Wir hatten in der Entwicklungsphase unseres Parks eine Pressefahrt in den Bayerischen Wald unternommen, uns mit ehemaligen Gegnern des Schutzgebiets sowie mit Lokalpolitikern unterhalten und sehr freundlich und sachlich Auskunft erhalten.“ Weil die Journalisten daraufhin verständnisvoller und wissender über Sinn, Aufgaben und Ziele eines Nationalparks schreiben konnten, „wurden Bedenken und Ängste vor dem Schwarzwälder Schutzgebiet von Anfang an ausgeräumt“.
ANDREAS PUSCH, NATIONALPARK HARZ
Der Nationalpark Harz: Mit seinen natürlichen Nadelwaldbeständen in den Hochlagen und Laubwäldern in den tieferen Lagen ähnelt das Schutzgebiet dem Nationalpark Bayerischer Wald in der Vegetationsabstufung über verschiedene Höhenzonen hinweg wie ein Zwilling. „Es gibt aber auch deutliche Unterschiede“, erklärt Andreas Pusch. Da die Mittelgebirgsregion am Schnittpunkt von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bereits seit Jahrhunderten industriell belastet und touristisch stark frequentiert sei, „ist die Natur bei uns stärker beeinträchtigt als im Bayerischen Wald“.
Der Borkenkäfer beschleunige die Waldentwicklung im Harz überdies: „Die Rasanz, mit der der Käfer in jüngster Vergangenheit zugeschlagen hat, ist schon außerordentlich und ist eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen“, bestätigt Andreas Pusch. Für den Umgang mit der Käferwelle hätten er und seine Kollegen sich auf Erfahrungen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald gestützt und in Abstimmung mit den zuständigen Fachgremien einen 500 Meter breiten Gürtel um das Schutzgebiet gelegt. Um angrenzende Wirtschaftswälder zu schützen, werde in dieser Pufferzone der Käfer bekämpft. „Aus Naturschutzsicht fiel uns diese Maßnahme schwer“, gesteht Pusch, ist letztlich aber überzeugt, „dass wir hier konsequent vorgehen müssen, um den Käfer im Inneren des Parks laufen lassen zu dürfen“.
Auch was die Umweltbildung angeht, tauschen sich die Mitarbeiter des Nationalparks Harz mit ihren bayerischen Kollegen intensiv aus: „Ihr habt einfach die größte Erfahrung, wie man Informationen sowohl an Touristen als auch an Einheimische bringt“, lobt Pusch in Richtung Bayerischer Wald.
Gilt das älteste deutsche Schutzgebiet in sehr vielen Bereichen als Lehrmeister für seine jüngeren Geschwister, so entwickeln diese aber auch schon mal andere Lösungen für vergleichbare Fragestellungen. Im Harz etwa, wenn es um die Regulierung des Wildbestands geht: Um die Waldentwicklung noch intensiver zu unterstützen, werde dort noch großflächig gejagt, erzählt Andreas Pusch – und fügt fast entschuldigend an: „Hier weichen wir ausnahmsweise von unserem bayerischen Vorbild ab.“
Dieser Bericht stammt aus der aktuellen Ausgabe des Nationalparkmagazins "Unser wilder Wald". Die komplette Ausgabe kann im Download-Bereich der Homepage als PDF-Dokument heruntergeladen werden.
Text: Alexandra von Poschinger