Bayerischer Wald
Besenstiele gehen für die Klimaforschung um die Welt
Globale Studie des Nationalparks - Wie viel Kohlendioxid setzt Totholz frei?
Pressemitteilung Nr. 52/2021
Prof. Jörg Müller, Leiter des Sachgebietes Naturschutz und Forschung im Nationalpark, freut sich, dass es die Studie bis aufs Titelblatt der „Nature“ geschafft hat. (Foto: Sandra Schrönghammer/Nationalpark Bayerischer Wald)
Im Nationalpark Bayerischer Wald wurde für die Studie Totholz ausgelegt. (Fotos: Sebastian Seibold/ Nationalpark Bayerischer Wald)
Die gleiche Versuchsanordnung wie im Bayerischen Wald fand man auch in Madagaskar.
Weltweit wurden 55 Standorte festgelegt, an jedem wurden drei heimische Baumarten und ein Besenstiel ausgelegt.
Grafenau. Was haben Peru, Madagaskar, Skandinavien und Neuseeland gemeinsam? In all den Ländern liegen Besenstiele aus dem Bayerischen Wald, die unterschiedlich schnell verrotten und dabei verschiedene Mengen von CO2 freisetzen. Die Untersuchungen, die bei der Studie gemacht wurden, sind für die Forschung zum Kohlenstoffkreislauf von großer Bedeutung. Nun wurden die Ergebnisse sogar in der englischsprachigen und international wohl renommiertesten Wissenschaftszeitung „Nature“ veröffentlicht.
„Zwei der drängendsten Fragen unserer Zeit sind, wie wir den Klimawandel und den Artenverlust verlangsamen können“, sagt Prof. Jörg Müller, Leiter der Forschungsabteilung im Nationalpark Bayerischer Wald. Während Menschen immer mehr Kohlendioxid freisetzen, erwärmt sich die Erde kontinuierlich. „Um Prognosen zur weiteren Entwicklung abgeben zu können, müssen wir wissen, wo auf dieser Erde wie viel Kohlendioxid gespeichert wird und wo nicht.“ Für Wälder, Ozeane oder Böden gibt es schon zahlreiche Modelle. „Wir wissen auch was geschieht, wenn Bäume wachsen und wenn sie sterben. Was bisher außer Acht gelassen wurde ist was passiert, wenn sich tote Bäume zersetzen und welche Rolle dabei Insekten spielen.“
55 Forschungsflächen auf allen Kontinenten
Genau diese Lücke wollte der Nationalpark schließen. Nachdem Forschungen zum Totholz im Schutzgebiet schon seit Jahrzehnten eine bedeutende Rolle spielen, entstand bei Jörg Müller und seinem Team die Idee, mehr über sich zersetzende Bäume als Kohlendioxidspeicher zu erfahren. Und zwar nicht nur im Bayerischen Wald. „Wir wollten Daten aus der ganzen Welt haben, damit diese dann auch für globale Klimamodelle genutzt werden können.“ Die Arbeit begann letztendlich am Schreibtisch mit einer Weltkarte. „Erst haben wir Standorte für unsere Forschungen festgelegt.“ Es sollte möglichst jeder Waldtyp in den unterschiedlichsten Klimazonen der Erde mit aufgenommen werden. Am Ende einigte man sich auf 55 Forschungsflächen, die sich auf alle Kontinente verteilten.
Zwischen März 2015 und August 2016 ging es an die Ausstattung der Versuchsflächen. An jedem Standort sollten drei heimische Hölzer ausgelegt werden sowie ein Besenstiel aus Buchenholz - um Vergleiche ziehen zu können. „Die Besenstiele haben wir bei uns in einem regionalen Baumarkt gekauft und in die ganze Welt verschickt“, erinnert sich Müller. Am Ende waren auf allen Forschungsflächen weltweit 142 verschiedene Baumarten zu finden – von der Fichte über Schraubenpalmen bis hin zu Kautschukbäumen. „Die Hälfte der Hölzer war mit Insektenzugang, andere ohne, um die Rolle der Insekten beim Abbau von Totholz zu ermitteln.“
Elefanten, Brände und Überschwemmungen gefährdeten Experiment
Im weiteren Verlauf konnten der Nationalpark Berchtesgaden, die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und die Technische Universität München als zentrale Partner und über 30 kooperierende Forschergruppen weltweit gewonnen werden. Über drei Jahre hinweg wurde an den Standorten regelmäßig die Holzzersetzung gemessen, teilweise fand das Experiment unter schwierigsten Bedingungen statt. „Manche Flächen mussten vor Elefanten geschützt werden, eine andere ging durch Waldbrand verloren und eine dritte wurde überschwemmt“, berichtet PD Dr. Sebastian Seibold, Erstautor der Studie und ehemaliger Doktorand des Nationalparks Bayerischer Wald. Die Bemühungen haben sich gelohnt. „Wir können nun neuste Erkenntnisse vorlegen.“
Festgestellt haben die Forscher, dass die Menge an Kohlenstoff, die Totholz freigibt, ungefähr 115 Prozent entspricht von dem was Menschen freisetzen und 25 Prozent von dem was aus Böden freigesetzt wird. „Generell stammen 93 Prozent der jährlichen Freisetzung von Kohlenstoff aus Totholz aus den Tropen“, so Seibold. Ein Drittel dieser Kohlenstoff-Freisetzung geht auf Insekten zurück. „Gerade in wärmeren Gebieten zersetzen Insekten Totholz schneller.“ In kälteren Regionen kann der Trend auch in eine andere Richtung gehen. „Manche Borkenkäfer zum Beispiel bringen Pilze mit, die schlechte Holzabbauer sind. Dann verlangsamt sich der Abbauprozess.“
Arbeit auf hohem wissenschaftlichem Niveau
Lobende Worte für das Projekt gibt es von Dr. Franz Leibl, Leiter des Nationalparks. „Forschung ist kein Selbstzweck, sondern eine wichtige Aufgabe, die die Nationalparkverwaltung zu erfüllen hat.“ Dass das Forscherteam des Schutzgebietes auf hohem wissenschaftlichem Niveau arbeitet, würde der Erfolg dieser Studie zur Rolle von Totholz und Insekten im globalen Kohlenstoffkreislauf zeigen. „Die Ergebnisse sind ein Baustein, der künftig in der globalen Kohlenstoff-Bilanz berücksichtigt werden muss, um die Klimaveränderungen zu berechnen“, so Leibl. „Sowohl die Erderwärmung als auch der Biodiversitätsverlust bei Insekten haben das Potential, den Holzabbau und damit die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe weltweit zu verändern.“
Bildunterschriften:
Foto 1: Prof. Jörg Müller, Leiter des Sachgebietes Naturschutz und Forschung im Nationalpark, freut sich, dass es die Studie bis aufs Titelblatt der „Nature“ geschafft hat. (Foto: Sandra Schrönghammer/Nationalpark Bayerischer Wald)
Foto 2: Im Nationalpark Bayerischer Wald wurde für die Studie Totholz ausgelegt. (Fotos: Sebastian Seibold/ Nationalpark Bayerischer Wald)
Foto 3: Die gleiche Versuchsanordnung wie im Bayerischen Wald fand man auch in Madagaskar.
Foto 4: Weltweit wurden 55 Standorte festgelegt, an jedem wurden drei heimische Baumarten und ein Besenstiel ausgelegt.
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