Gemeinsam stark

Interview mit Roland Baier, Leiter des Nationalparks Berchtesgaden

Eintrag Nr. 07/2021
Datum:


Das Wimbachgries im Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Nationalpark Berchtesgaden
Das Wimbachgries im Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Nationalpark Berchtesgaden

Roland Baier leitet den Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Nationalpark Berchtesgaden
Roland Baier leitet den Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Nationalpark Berchtesgaden

Steinadler im Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Astrid Brille
Steinadler im Nationalpark Berchtesgaden. Foto: Astrid Brille

Berchtesgaden.Die beiden bayerischen Nationalparks kooperieren eng und profitieren voneinander. Dr. Roland Baier, Leiter des Nationalparks Berchtesgaden, über gemeinsame Projekte, markante Unterschiede und faszinierende Besonderheiten.

Sie sind in Ringelai aufgewachsen, kennen den Nationalpark Bayerischer Wald seit Ihrer Kindheit. Was sind Ihre ersten Erinne­rungen an das heimische Schutzgebiet?

Roland Baier: Ich erinnere mich an eine Wanderung auf den Gipfel des Lusen Mit­te der 1970er Jahre. Auf dem Weg dorthin fanden wir eine Weinschwärmerraupe. Noch heute lässt sie sich häufig an ihrer Futter­pflanze, dem Weidenröschen, finden.

Seit Sommer 2017 leiten Sie den National­park Berchtesgaden. Was verbindet ihn mit seinem älteren Bruder im Bayerischen Wald – und worin liegt der größte Unterschied?

Roland Baier: Neben der sehr engen „brüderlichen“ Zusammenarbeit verbindet uns das Ziel, der Natur auf überwiegender Fläche freien Raum für eine ungesteuerte Entwicklung zu lassen. Damit entstehen in beiden Ge­bieten wertvolle Freiluftlabore für die For­schung, besondere Erholungsräume für uns Menschen und einzigartige Strukturen für seltene Arten. Beide Parks haben vergleich­bare und sehr hohe Zustimmungswerte in der örtlichen Bevölkerung. Dass wir in unse­rer Pflegezone traditionelle Nutzungen wie die Almwirtschaft auf 33 Almen fortführen, unterscheidet den Nationalpark Berchtes­gaden vom Bayerischen Wald. Dort betrifft dies auf ver­gleichsweise kleinen Flächen die Schachten. Zudem: Der Berchtesgadener Raum mit dem Königssee war bereits vor dem Nationalpark stark touristisch geprägt. Im „Woid“ da­gegen war der Nationalpark ein weit kräftigerer Motor für die Entwicklung des Tourismus.

Von welchen Pionierleistungen des ältesten deutschen Natio­nalparks konnte beziehungsweise kann der einzige Alpennationalpark des Landes profitieren?

Roland Baier: Es ist ganz klar die Prägung des Begriffs „Natur Natur sein lassen“ beziehungsweise des Prozessschutzes, der heute als Ziel­setzung im Bundesnaturschutzgesetz verankert ist. Durch das Zulassen der ungelenkten Borkenkäferdynamik ab den 1980er Jahren im Nationalpark Bayerischer Wald und die damit neu entstandenen, tollen Waldstrukturen haben wir anschaulich gelernt, dass Naturzustände nicht statisch sind, sondern die Natur sehr dynamisch reagiert. Im Rahmen unserer Forschungskooperation mit der Technischen Universität München und dem hierfür gegründeten Lehrstuhl „Ökosystemdynamik in Gebirgsregionen“, den unser Forschungsleiter Professor Rupert Seidl innehat, wird dieses Thema ganz gezielt wissen­schaftlich untersucht.

In welchen Projekten arbeiten beide Parks aktuell besonders eng zusammen?

Roland Baier: Im vergangenen Jahr haben wir ein gemeinsames Bio­diversitätsmonitoring mit vergleichbarer Methodik gestartet. Damit können wir unsere Daten zur Entwicklung der Ar­tenvielfalt in beiden Nationalparks künftig gut vergleichen. Daneben haben wir Methoden für ein gemeinsames Quell­monitoring erarbeitet. Momentan stimmen wir uns eng ab, wie wir die Kompetenzen unserer Ranger erweitern sollten, damit unsere Schutzgebietsbestimmungen möglichst effek­tiv kontrolliert werden können. Vor dem Hintergrund des Besucheransturms ist das leider dringend nötig.

Welchen bedrohten Arten bietet der Nationalpark Berchtes­gaden Schutz?

Roland Baier: Aufgrund seiner vielfältigen Umweltbedingungen, von Seen über Wälder und Almen bis zu den Felsregionen der Gipfel, bietet der Nationalpark Berchtesgaden sehr vielen bedrohten Pflanzen- und Tierarten Schutz – besonders sol­chen, die in der Kulturlandschaft verschwunden sind. Echte Highlights sind der Steinadler, das Auer- und Birkwild sowie das Hasel- und Schneehuhn. Bereits 1910 war der heutige Nationalpark Berchtesgaden Pflanzenschonbezirk, er weist eine entsprechend intakte Alpenflora mit Edelweißbestän­den auf. Wir sind auch für unseren Enzian bekannt, der im Nationalpark seit dem Jahr 1692 gegraben und nachhaltig genutzt werden darf. Das ist quasi der „Bärwurz“ der Alpen.

Eines Ihrer überregional bedeutsamen Projekte in diesem Jahr wird die Auswilderung des Bartgeiers sein. Was macht den Vogel so besonders?

Roland Baier: Mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern zählt der wunderschöne Bartgeier zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. Er ist ein völlig harmloser Aasfresser und ernährt sich fast ausschließlich von Knochen. Durch das Auswilde­rungsprojekt, das wir gemeinsam mit dem Landesbund für Vogelschutz umsetzen, möchten wir die ostalpine Population des Bartgeiers stützen.

Wie der Nationalpark Bayerischer Wald ist auch das Ihnen anvertraute Schutzgebiet bestens international vernetzt und unter anderem seit 1995 im Netzwerk Alpiner Schutzgebiete ALPARC engagiert. Was darf man sich darunter vorstellen?

Roland Baier: Das Netzwerk steht für den hervorragenden Austausch zwischen den Schutzgebieten der Alpen und initiiert gemein­same Projekte. Gerade haben wir ein Umweltbildungsprojekt abgeschlossen und sind damit erster Partner einer zertifi­zierten Alpenschule geworden. Es gab auch schon mehrere Projekte zur Verbesserung des ökologischen Verbunds, also zur Aufhebung von Barrieren, was bestimmten Tierarten das Wandern erleichtert. Der Austausch im Netzwerk – auch für unsere Ranger, die jährlich an einem alpenweiten Treffen teilnehmen – ist unverzichtbar und bringt uns im Schutz­gebietsmanagement und in der Praxis ordentlich weiter.

Sie sind Forstwissenschaftler und damit ausgewiesener Wald­fachmann. Angesichts der Klimaerwärmung sieht die Forst­wirtschaft einen drängenden Auftrag im aktiven Waldum­bau. Inwieweit könnten Wirtschaftswälder von natürlichen Prozessen, wie sie in einem Nationalpark vorzufinden sind, profitieren?

Roland Baier: Die Walddynamik in den beiden Nationalparks liefert wichtige Anschauungsobjekte und wissenschaftliche Ergeb­nisse für die Waldbehandlung außerhalb. Aus unseren For­schungen kann man zum Beispiel ableiten, dass die Borken­käferdynamik in Gebirgslagen sehr viel kleinflächiger abläuft und sich auch die Waldverjüngung ohne unser Zutun sehr vielfältig in den Lücken entwickeln kann. Gleichzeitig steigt dort die Biodiversität durch das Totholz- und Lichtangebot. In den Parks können wir also lernen, wie natürliche Prozesse ablaufen und diese idealerweise in das Waldmanagement einbezogen werden können.

 

Dieser Bericht stammt aus der aktuellen Ausgabe des Nationalparkmagazins "Unser wilder Wald". Die komplette Ausgabe kann im Download-Bereich der Homepage als PDF-Dokument heruntergeladen werden.

Interview: Alexandra von Poschinger

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