Einbeziehung genetischer Prozesse: Entscheidungsunterstützung im Naturschutzmanagement am Beispiel des Luchses
Motivation:
Jahrhunderte nach ihrer Ausrottung breiten sich die großen Beutegreifer Luchs (Lynx lynx) und Wolf (Canis lupus) wieder in Deutschland aus. Grundlage dieser Entwicklung war ein Einstellungswandel der Bevölkerung, der schließlich in einen strengen gesetzlichen Schutz und ein begleitendes Management mündete. Trotzdem sind die Populationen der großen Beutegreifer in den stark vom Menschen beeinflussten Landschaften Deutschlands und Mitteleuropas, nach wie vor gefährdet. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Luchses. Obwohl insgesamt genügend geeignetes Habitat zur Verfügung steht und regelmäßig Jungtiere geboren werden, wachsen die Populationen nur langsam oder stagnieren sogar. Gefährdungsursachen sind vor allem die Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrswege und illegale Nachstellungen, die im Bayerischen Wald sogar die häufigste Todesursache darstellen. Problematisch ist dabei vor allem, dass die Populationen relativ klein und nicht miteinander verbunden sind. Zwar ist das Risiko eines zufälligen Aussterbens in Folge von stochastischen Prozessen gering, da die meisten Populationen mehr als 50 Individuen umfassen, allerdings droht ein Verlust an genetischer Variabilität. Je kleiner die Populationen sind und je länger sie voneinander getrennt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass genetische Informationen durch genetische Drift verloren gehen, auch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Verpaarung von nah verwandten Individuen kommt und Inzuchteffekte auftreten. Beide Effekte können zu einer verminderten Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen und einer Anreicherung schadhafter Gene führen und somit das Aussterberisiko der lokalen Population erhöhen.
Projektziele:
Das Ziel des Projektes ist es deshalb, ein bestehendes individuenbasiertes Simulationsmodell für Luchspopulationen so weiter zu entwickeln, dass es in der Lage ist, neben Habitatnutzung, Zerstreuung und demographischer Entwicklung auch genetische Prozesse abzubilden. Das Modell dazu verwendet die folgenden Managementfragestellungen: Wie entwickeln sich die genetischen Metriken der mitteleuropäischen Luchspopulationen in den nächsten 50 beziehungsweise 100 Jahren, wenn nicht eingegriffen wird? Wie viele Luchsindividuen müssen aus anderen Populationen zur genetischen Restauration angesiedelt werden, um die gleichen genetischen Metriken wie in großen Populationen zu erreichen? Können die gewünschten genetischen Metriken durch eine verbesserte Konnektivität zwischen den mitteleuropäischen Populationen sichergestellt werden? In welchen Gegenden würden Wiederansiedlungsprojekte die größten Effekte für den Schutz der mitteleuropäischen Luchspopulationen erzielen, und wie genetisch vielfältig sollte bereits die minimale Gründerpopulation sein?
Untersuchungsdesign:
Eine Methode, mit der potenziellen Entwicklungen von Tierpopulationen untersucht werden können, sind räumlich-explizite individuenbasierte Modelle. Sie ermöglichen die Analyse komplexer Systeme, indem sie den Einfluss verschiedener Umwelteffekte und die Interaktionen auf individueller Ebene in realen oder künstlichen Landschaften berücksichtigen. Dazu sollen im ersten Schritt demographische Daten aus den einzelnen Luchsprojekten in Mitteleuropa zusammengeführt und analysiert werden, um das bestehende Modell mit genaueren Daten zu parameterisieren. Im zweiten Schritt wird der Modellansatz dahingehend erweitert, dass individuelle Allele und deren Vererbung – Mutationswahrscheinlichkeit und Rekombination – explizit modelliert werden. Anschließend erfolgt die Validierung des Modells mit genetischen Daten aus den realen Populationen. Durch die offene Programmierung dieses Modells soll gewährleistet werden, dass es auch nach dem Projektvorhaben für ähnliche Analysen für andere gefährdete Katzenarten, zum Beispiel, die Wildkatze, eingesetzt werden kann.
Finanzierung:
- Deutsches Bundesstiftung für Umwelt
Ansprechpartner:
Joe Premier
Doktorand
Joe.Premier@npv-bw.bayern.de
Prof. Dr. Marco Heurich
Sachgebietsleiter
Marco.Heurich@npv-bw.bayern.de
Kooperationspartner:
- Dr. Stephanie Kramer-Schadt und Prof. Jörns Fickel, Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) https://www.izw-berlin.de/
- Mitglieder des „Eurolynx“ Netzwerk https://www.eurolynx.org/