Gemeinsam stark
Interview mit Roland Baier, Leiter des Nationalparks Berchtesgaden
Eintrag Nr. 07/2021
Datum: 09.03.2021
Berchtesgaden.Die beiden bayerischen Nationalparks kooperieren eng und profitieren voneinander. Dr. Roland Baier, Leiter des Nationalparks Berchtesgaden, über gemeinsame Projekte, markante Unterschiede und faszinierende Besonderheiten.
Sie sind in Ringelai aufgewachsen, kennen den Nationalpark Bayerischer Wald seit Ihrer Kindheit. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an das heimische Schutzgebiet?
Roland Baier: Ich erinnere mich an eine Wanderung auf den Gipfel des Lusen Mitte der 1970er Jahre. Auf dem Weg dorthin fanden wir eine Weinschwärmerraupe. Noch heute lässt sie sich häufig an ihrer Futterpflanze, dem Weidenröschen, finden.
Seit Sommer 2017 leiten Sie den Nationalpark Berchtesgaden. Was verbindet ihn mit seinem älteren Bruder im Bayerischen Wald – und worin liegt der größte Unterschied?
Roland Baier: Neben der sehr engen „brüderlichen“ Zusammenarbeit verbindet uns das Ziel, der Natur auf überwiegender Fläche freien Raum für eine ungesteuerte Entwicklung zu lassen. Damit entstehen in beiden Gebieten wertvolle Freiluftlabore für die Forschung, besondere Erholungsräume für uns Menschen und einzigartige Strukturen für seltene Arten. Beide Parks haben vergleichbare und sehr hohe Zustimmungswerte in der örtlichen Bevölkerung. Dass wir in unserer Pflegezone traditionelle Nutzungen wie die Almwirtschaft auf 33 Almen fortführen, unterscheidet den Nationalpark Berchtesgaden vom Bayerischen Wald. Dort betrifft dies auf vergleichsweise kleinen Flächen die Schachten. Zudem: Der Berchtesgadener Raum mit dem Königssee war bereits vor dem Nationalpark stark touristisch geprägt. Im „Woid“ dagegen war der Nationalpark ein weit kräftigerer Motor für die Entwicklung des Tourismus.
Von welchen Pionierleistungen des ältesten deutschen Nationalparks konnte beziehungsweise kann der einzige Alpennationalpark des Landes profitieren?
Roland Baier: Es ist ganz klar die Prägung des Begriffs „Natur Natur sein lassen“ beziehungsweise des Prozessschutzes, der heute als Zielsetzung im Bundesnaturschutzgesetz verankert ist. Durch das Zulassen der ungelenkten Borkenkäferdynamik ab den 1980er Jahren im Nationalpark Bayerischer Wald und die damit neu entstandenen, tollen Waldstrukturen haben wir anschaulich gelernt, dass Naturzustände nicht statisch sind, sondern die Natur sehr dynamisch reagiert. Im Rahmen unserer Forschungskooperation mit der Technischen Universität München und dem hierfür gegründeten Lehrstuhl „Ökosystemdynamik in Gebirgsregionen“, den unser Forschungsleiter Professor Rupert Seidl innehat, wird dieses Thema ganz gezielt wissenschaftlich untersucht.
In welchen Projekten arbeiten beide Parks aktuell besonders eng zusammen?
Roland Baier: Im vergangenen Jahr haben wir ein gemeinsames Biodiversitätsmonitoring mit vergleichbarer Methodik gestartet. Damit können wir unsere Daten zur Entwicklung der Artenvielfalt in beiden Nationalparks künftig gut vergleichen. Daneben haben wir Methoden für ein gemeinsames Quellmonitoring erarbeitet. Momentan stimmen wir uns eng ab, wie wir die Kompetenzen unserer Ranger erweitern sollten, damit unsere Schutzgebietsbestimmungen möglichst effektiv kontrolliert werden können. Vor dem Hintergrund des Besucheransturms ist das leider dringend nötig.
Welchen bedrohten Arten bietet der Nationalpark Berchtesgaden Schutz?
Roland Baier: Aufgrund seiner vielfältigen Umweltbedingungen, von Seen über Wälder und Almen bis zu den Felsregionen der Gipfel, bietet der Nationalpark Berchtesgaden sehr vielen bedrohten Pflanzen- und Tierarten Schutz – besonders solchen, die in der Kulturlandschaft verschwunden sind. Echte Highlights sind der Steinadler, das Auer- und Birkwild sowie das Hasel- und Schneehuhn. Bereits 1910 war der heutige Nationalpark Berchtesgaden Pflanzenschonbezirk, er weist eine entsprechend intakte Alpenflora mit Edelweißbeständen auf. Wir sind auch für unseren Enzian bekannt, der im Nationalpark seit dem Jahr 1692 gegraben und nachhaltig genutzt werden darf. Das ist quasi der „Bärwurz“ der Alpen.
Eines Ihrer überregional bedeutsamen Projekte in diesem Jahr wird die Auswilderung des Bartgeiers sein. Was macht den Vogel so besonders?
Roland Baier: Mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern zählt der wunderschöne Bartgeier zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. Er ist ein völlig harmloser Aasfresser und ernährt sich fast ausschließlich von Knochen. Durch das Auswilderungsprojekt, das wir gemeinsam mit dem Landesbund für Vogelschutz umsetzen, möchten wir die ostalpine Population des Bartgeiers stützen.
Wie der Nationalpark Bayerischer Wald ist auch das Ihnen anvertraute Schutzgebiet bestens international vernetzt und unter anderem seit 1995 im Netzwerk Alpiner Schutzgebiete ALPARC engagiert. Was darf man sich darunter vorstellen?
Roland Baier: Das Netzwerk steht für den hervorragenden Austausch zwischen den Schutzgebieten der Alpen und initiiert gemeinsame Projekte. Gerade haben wir ein Umweltbildungsprojekt abgeschlossen und sind damit erster Partner einer zertifizierten Alpenschule geworden. Es gab auch schon mehrere Projekte zur Verbesserung des ökologischen Verbunds, also zur Aufhebung von Barrieren, was bestimmten Tierarten das Wandern erleichtert. Der Austausch im Netzwerk – auch für unsere Ranger, die jährlich an einem alpenweiten Treffen teilnehmen – ist unverzichtbar und bringt uns im Schutzgebietsmanagement und in der Praxis ordentlich weiter.
Sie sind Forstwissenschaftler und damit ausgewiesener Waldfachmann. Angesichts der Klimaerwärmung sieht die Forstwirtschaft einen drängenden Auftrag im aktiven Waldumbau. Inwieweit könnten Wirtschaftswälder von natürlichen Prozessen, wie sie in einem Nationalpark vorzufinden sind, profitieren?
Roland Baier: Die Walddynamik in den beiden Nationalparks liefert wichtige Anschauungsobjekte und wissenschaftliche Ergebnisse für die Waldbehandlung außerhalb. Aus unseren Forschungen kann man zum Beispiel ableiten, dass die Borkenkäferdynamik in Gebirgslagen sehr viel kleinflächiger abläuft und sich auch die Waldverjüngung ohne unser Zutun sehr vielfältig in den Lücken entwickeln kann. Gleichzeitig steigt dort die Biodiversität durch das Totholz- und Lichtangebot. In den Parks können wir also lernen, wie natürliche Prozesse ablaufen und diese idealerweise in das Waldmanagement einbezogen werden können.
Dieser Bericht stammt aus der aktuellen Ausgabe des Nationalparkmagazins "Unser wilder Wald". Die komplette Ausgabe kann im Download-Bereich der Homepage als PDF-Dokument heruntergeladen werden.
Interview: Alexandra von Poschinger