Borkenkäfer stirbt den Hungertod
Simulation verschiedener Klimamodelle - Bedingungen für Buchdrucker verschlechtern sich in strukturreichen Wäldern
Eintrag Nr. 48/2022
Datum: 18.10.2022
Grafenau. Borkenkäfer – dieses Wort lässt so manchen Waldbesitzer erschaudern. In den vergangenen Jahren fraß sich das kleine Insekt durch Fichtenbestände in ganz Europa. Auch vor dem Nationalpark Bayerischer Wald machte er nicht halt. Wann geht ihm die Puste aus?
Spricht man vom Borkenkäfer, ist meist nur der Buchdrucker gemeint. Das ist eine Unterart, die das Potential hat, Fichtenwälder großflächig zum Absterben zu bringen. Wird dies in hunderten Jahren ein Ende haben? Kann der winzige Käfer weiterhin einen so großen Einfluss auf die Entwicklung der Wälder nehmen? Forschungsergebnisse zeigen, dass
der Buchdrucker in Zukunft zu einer aussterbenden Rasse gehört.
SIMULATIONSMODELL SCHAUT 600 JAHRE IN DIE ZUKUNFT
Eine Kristallkugel taugt für eine Prognose nicht viel – daher haben Wissenschaftler ein komplexes Simulationsmodell programmiert. „iLand“, wie die Software getauft wurde, zerlegt das komplette Ökosystem Wald in einzelne Puzzleteile, von der Entwicklung äußerer Einflüsse wie Niederschlag und Temperatur bis hin zum Wachstum von Pflanzen, Pilzen oder Kleinstorganismen. Jedes dieser Teilchen simuliert also einen Baustein der natürlichen Abläufe. Auch die Prozesse rund um den Befall von Fichten mit Borkenkäfern werden abgebildet. Um die Funktionalität des Programms zu testen, wurde mit Daten aus dem Rachel-Lusen-Gebiet die jüngste Vergangenheit simuliert, also der Borkenkäfer-Befall in den 1990er Jahren. Das Ergebnis zeigt, dass die Berechnungen sehr nah an die Realität herankommen. Mit der Software ist es also
möglich, die Waldentwicklung der nächsten 600 Jahre zu simulieren.
VON MODERATEN BIS STARK STEIGENDEN TEMPERATUREN
Die Simulation unterstellt vier verschiedene Klimaszenarien: Ein Kontrollszenario, bei dem sich die äußeren Umstände nicht ändern, einen moderaten Temperaturanstieg, einen starken Temperaturanstieg sowie einen starken Temperaturanstieg kombiniert mit mehr Niederschlägen. In allen Fällen wird es auch in der Zukunft weitere Borkenkäferwellen geben, bei starker Klimaerwärmung auch große, intensive Ausbruchswellen. Allerdings wird das aus der Mitte der 1990er Jahre bekannte Niveau nicht mehr erreicht. Und: Nach etwa 200 Jahren gehen die Aktivitäten des Buchdruckers – in allen Berechnungen – deutlich zurück.
BUCHE UND TANNE KÄMPFEN SICH IN DIE HOCHLAGEN
Doch warum verschlechtern sich die Bedingungen für den Borkenkäfer? Es gibt zwei Gründe. Zum einen ändert sich bedingt durch die forstwirtschaftliche Nutzung die Struktur des Waldes. Gab es früher fast ausnahmslos
gleichaltrige Fichtenforste, entwickeln sie sich heute immer mehr zu dynamischen Naturwäldern, wo es Lücken im Bestand gibt, wo alte neben jungen Bäumen wachsen. Der Borkenkäfer hat weniger Angriffsfläche – selbst wenn
es aufgrund des Klimawandels wärmer wird. Der zweite Grund ist die Zusammensetzung der Baumarten. Aufgrund der steigenden Temperaturen wird die Fichte in Zukunft ihre Rolle als Hauptbaumart verlieren. Buche und Tanne
werden sich Stück für Stück in die Hochlagen vorkämpfen. In den beiden vom Computerprogramm simulierten Szenarien mit starkem Temperaturanstieg verschwindet die Fichte nach 600 Jahren sogar fast ganz aus dem Bayerischen Wald. Dem Buchdrucker fehlt in ferner Zukunft also schlicht die Nahrung.
KURZ UND BÜNDIG:
- In naher Zukunft wird es immer wieder Borkenkäferwellen im Nationalpark geben.
- Strukturreiche Wälder sind weniger anfällig für großflächige Störungen.
- Bei starkem Temperaturanstieg wird nicht nur die Fichte, sondern auch der Buchdrucker langfristig zur Seltenheit.
Der Text ist in der Broschüre "Forschung im Nationalpark" erschienen und kann auf der Homepage des Nationalparks Bayerischer Wald heruntergeladen werden.