Bayerischer Wald
Gemeinsames Aas-Projekt der deutschen Nationalparks
Auslegung von Wildtier-Kadavern - Vorkommende Arten werden erfasst
Pressemitteilung Nr. 95/2022
Aas zieht auch seltene Arten an. Im Nationalpark Bayerischer Wald kam zu einem ausgelegten Rotwildkadaver ein Seeadler. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)
Grafenau. Der Tod gehört zur Natur. Totes Holz und unzählige davon abhängige Pilz- und Käferarten sind den Besuchern der deutschen Nationalparks ein gängiger Begriff. Doch welchen Stellenwert nimmt das tote Tier ein? Wenn man über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie sich ein Kadaver zersetzt, wird deutlich, wie viel Leben er beherbergt und hervorbringt. Zu dieser Thematik gibt es nun ein gemeinsames Forschungsprojekt der deutschen Nationalparks.
Der Kreislauf des Lebens offenbart sich am Aas wie ein Zeitraffer im Vergleich zu der Zersetzung von abgestorbenen Bäumen. Wird Totholz über Jahrzehnte hinweg abgebaut, so dauert es bei einem toten Tier oft nur wenige Wochen. Viele verschiedene Arten – vom imposanten Adler über Marder und Aaskäfer bis hin zu Bakterien und Pilzen, die man mit bloßem Auge nicht mehr sehen kann – haben sich auf diesen Energie-Impuls im Laufe der Evolution perfekt eingespielt. Um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas und das bisher noch viel zu wenig erforschte Zusammenspiel seiner Besucher herauszufinden, wurde das Projekt „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen.
Aas wird von Wirbeltieren, Insekten, Bakterien und Pilzen genutzt
Als einer von 13 deutschen Nationalparken ist der Nationalpark Bayerischer Wald seit 1. Oktober 2022 Partner des Projektträgers Universität Würzburg im BfN-Förderprojekt zur Erprobung der Wildtierkadaverbelassung in der Landschaft. Projektziel ist es, erstmals über alle Nationalparke hinweg in den verschiedenen Großlandschaften - vom Gebirge über die Mittelgebirge bis hin zu den marinen Habitaten - standardisiert zu untersuchen, wie Aas in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten sowie Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen genutzt wird. Damit soll der Prozessschutz in Nationalparken um ein wichtiges Thema in der Wahrnehmung erweitert werden.
Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1820 Bakterienarten und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität. Aas gibt viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter. Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg. Obwohl dieser Mehrwert für die Artenvielfalt bekannt ist, ist selbst in Nationalparken das Belassen verunfallter oder - im Fall von Meeressäugern – gestrandeter Wildtiere bislang kaum im Schutzgebietsmanagement vorgesehen – obwohl die Förderung natürlicher Prozesse eine Aufgabe der Nationalparks ist.
Rehe als allgegenwärtige Kadaverart
Das auf fünf Jahre angesetzte Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gliedert sich in ein Hauptvorhaben und eine wissenschaftliche Begleitung. Im Hauptvorhaben werden jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Rehkadaver an zufälligen Plätzen auf den Flächen der Schutzgebiete belassen - als unterstützende Maßnahme zum Erhalt seltener Kadaververwerter, wie zum Beispiel dem Luchs oder dem Seeadler im Nationalpark Bayerischer Wald.
In einem sogenannten „Blockdesign“ werden in einem charakteristischen Lebensraumtyp, zum Beispiel der halboffene Bergmischwald im Nationalpark Bayerischer Wald, sechs Blöcke - drei im Sommer und drei weitere im Winter - bestehend aus je drei Teilflächen eingerichtet. Dabei dient eine Teilfläche als Kontrolle ohne Aas, auf einer Teilfläche wird ein Reh als allgegenwärtige Kadaverart ausgelegt und auf der dritten Teilfläche jeweils eine für einen größeren Lebensraum spezifische Tierart, wie zum Beispiel der Rothirsch im Nationalpark Bayerischer Wald.
Sensibilisierung für das Thema "Sterben im Wald"
Im Rahmen des Projektes wird wissenschaftlich erhoben, welche Arten am Kadaver zu finden sind. Große Aasfresser werden mittels Fotofallen, Insekten mittels Barberfallen, Pilze und Bakterien mit Hilfe von Abstrichen erfasst und genetisch analysiert. Untersucht werden die optimalen Bedingungen des Aasangebots, um die Auswirkungen auf die Diversität der Kadaverbesucher schutzgebietsübergreifend zu optimieren. Parallel dazu findet eine Sensibilisierung für das Thema „Sterben im Wald“ durch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit in Presse, Radio und Fernsehen, auf Homepages und Social Media statt.
Am Ende sollen Handlungsempfehlungen für das Management in Nationalparks und Naturlandschaften gegeben werden können. Ein Wissens- und Ergebnistransfer übergreifend auf Deutschlands Wildnisgebiete ist ein großes Anliegen und Ziel aller am Projekt beteiligten Partner.
Mit großer Spannung erwarten die deutschen Nationalparke dieses umfassende Schnittstellenprojekt unter Beteiligung verschiedener Sachgebiete wie Nationalparkforschung, Parkmanagement, Umweltbildung zur Kadaverökologie und Öffentlichkeitsarbeit zur medialen Begleitung.
Bildunterschrift:
Aas zieht auch seltene Arten an. Im Nationalpark Bayerischer Wald kam zu einem ausgelegten Rotwildkadaver ein Seeadler. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)
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